20.03.2024
Eine komplexe Herausforderung

„Rechte und rechtsextreme Parteien sind in unserer Demokratie wählbar und sollten daher auch in Planspielen vertreten sein.“ – Zustimmung oder nicht? 

„Die Rolle einer rechten/rechtsextremen Partei zu spielen, hilft Teilnehmenden diese Partei kritisch einzuordnen.“ – Stimmt so oder eher nicht? 

„Wenn die AfD im Planspiel eine Sonderrolle bekommt, stärkt das rechte Narrative über ‚Zensur‘.“ – Seht ihr das auch so? 

Diese Thesen haben wir auch bei einem internen Treffen zur Abstimmung gestellt, und die Einschätzungen gingen sehr auseinander. Für jede überzeugende Darstellung der einen Sichtweise fanden sich schnell überzeugende Plädoyers für das Gegenteil oder für die Positionen dazwischen. Das erscheint uns symptomatisch für aktuelle gesellschaftliche Debatten über den richtigen Umgang mit rechtsextremen und demokratiefeindlichen Bewegungen.  

In einer Zeit, in der die Politik zunehmend von Polarisierung und dem Aufstieg rechtspopulistischer und rechtsextremer Bewegungen geprägt ist, stehen wir, stehen wohl alle politischen Bildner*innen vor der Herausforderung, junge Menschen auf eine Weise über Demokratie und politische Prozesse aufzuklären, die sowohl informativ als auch verantwortungsvoll ist. Eine konkrete Frage, die uns dabei für unsere Arbeit umtreibt, ist die, wie wir in unseren Planspielen mit der Darstellung und Einbindung extrem rechter Parteien umgehen. 

Was ist überhaupt das Problem? 

Wir stehen vor verschiedenen Dilemmata bzw. mehreren schlechten Alternativen: 

Lassen wir extrem rechte Akteur*innen als Rolle in Planspielen mitspielen, bringen wir damit einen Teil der Gruppe in die Situation, solche Positionen vertreten zu müssen. Das kann für diese Teilnehmenden sehr unangenehm sein, aber auch für den Rest der Gruppe, die diese Positionen anhören und erleben müssen. Für Menschen mit Fluchterfahrungen, für Betroffene von Rassismus und für Angehörige aller anderen Gruppen, die von rechten Akteur*innen diskriminiert werden, kann dies (re-)traumatisierend sein.  

Lassen wir die extrem rechten Gruppen hingegen weg, werden die Planspiele u.U. dem Anspruch nicht mehr gerecht, die Realität sinnvoll abzubilden. Können wir ein Planspiel zum Wahlkampf durchführen, ohne eine rechte Partei dabei zu haben, die in der Realität in den Umfragen bei 20 % steht? Man könnte uns vorwerfen, dass wir die Augen vor einer gesellschaftlichen Realität verschließen würden, die (leider) nicht zu leugnen ist. Und dass wir die Teilnehmenden um die Gelegenheit bringen würden, sich mit den Positionen auseinanderzusetzen, die ihnen in ihrer realen Lebenswelt aber begegnen. 

Nun könnte man sagen: Wir lassen rechtspopulistische oder rechtsextreme Akteur*innen, z.B. die entsprechenden Parteien auf deutscher oder europäischer Ebene, mitspielen, „entschärfen“ aber ihre Rolleninformationen. Die Partei im Planspiel könnte der Meinung sein, dass der Einfluss der EU zu groß ist und zurückgedrängt werden sollte, und sie findet die Maßnahmen gegen den Klimawandel übertrieben. Sie ist aber nicht rassistisch und hetzt nicht gegen Geflüchtete. Die Gefahr hierbei wäre, die realen Parteien zu verharmlosen und ein falsches Bild über ihre Absichten zu zeichnen. „So schlimm sind die ja gar nicht“, könnte der – unerwünschte – Lerneffekt sein. 

Strategien und Lösungsansätze

Wir haben uns dazu in letzter Zeit mehrfach im festen Team und mit unseren freien Mitarbeitenden ausgetauscht. Dabei haben wir festgestellt: Es gibt keine einfachen Antworten, und doch müssen wir Entscheidungen treffen, wie wir mit der Frage in unseren Formaten konkret umgehen. Wir haben uns daher eine Reihe von Anpassungen überlegt, die vor, während und nach dem Planspiel greifen. Leitender Gedanke war, dass eine Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen und rechtsextremen Positionen wichtig ist, diese aber eher auf der Metaebene und nicht über die für die Methode Planspiel typische Identifikation mit diesen Positionen in einer Rolle geschehen sollte. Konkret bedeutet das: 

Vor dem Planspiel: Wir beginnen unsere Workshops mit einer Methode, die auf spielerische Weise demokratische Werte vermittelt und die Teilnehmenden aktiv einbindet. Diese Methode hilft nicht nur, das Eis zu brechen, sondern legt auch den Grundstein für ein gemeinsames Verständnis der Werte, die unsere Gesellschaft tragen. Anschließend legen wir gemeinsam mit den Teilnehmenden die Regeln des Workshops fest, um einen sicheren und respektvollen Rahmen zu schaffen. Dieser Schritt ist entscheidend, denn er schlägt eine Brücke vom Inhalt des Workshops – z.B. Demokratie und Wahlen – zum Rahmen des Workshops, indem der Klassenraum als eine Gesellschaft im Kleinen betrachtet wird. Die Betonung liegt auf Beteiligung, Pluralismus und Gleichberechtigung, wobei klar kommuniziert wird, dass Diskriminierung und Hassrede keinen Platz haben.

Transparenz im Umgang mit extrem rechten Parteien: Wir erklären offen, warum wir die direkte Darstellung dieser Positionen vermeiden und stattdessen auf eine kritische Auseinandersetzung auf der Metaebene setzen. So machen wir deutlich, dass das Verständnis dieser Positionen wichtig ist, ohne dass sich Teilnehmende mit ihnen identifizieren müssen. An dieser Stelle wird auch begründet, warum wir z.B. die AfD anders behandeln als andere Parteien, auch wenn sie in demokratischen Wahlen antritt und Erfolg hat: Sie vertritt Positionen, die die Demokratie und den Meinungspluralismus ablehnen, und die gegen die Menschenrechte verstoßen, sie arbeitet mit rechtsextremen Akteur*innen zusammen und ist laut Verfassungsschutz in Teilen gesichert rechtsextrem. 

Im Planspiel: Die Positionen rechtspopulistischer oder rechtsextremer Akteur*innen werden an verschiedenen Stellen im Planspiel dargestellt, sie werden aber nicht von Teilnehmenden im Rahmen einer Rollenübernahme vertreten. So kommt die AfD in unserem Planspiel zum Wahlkampf in Deutschland („Demokratielabor“) zwar vor und kann auch am Ende gewählt werden, sie wird aber nicht als Rolle durch Teilnehmende gespielt. Stattdessen verortet die Spielleitung die Partei z.B. auf dem Positionierungsstrahl der Meinungen zu zentralen Wahlkampfthemen oder zeigt Beispiele für Wahlplakate. Dabei wird aber darauf geachtet, dieser Darstellung nicht zu viel Raum zu geben, um der Selbstinszenierung dieser Partei als einziger Alternative zu allen anderen Parteien nicht auf den Leim zu gehen. Dazu gehört auch, dass die Unterschiede in den politischen Programmen der demokratischen Parteien besonders hervorgehoben und thematisiert werden. 

Der Hauptteil der Auseinandersetzung geschieht aber in der Auswertung nach dem Spiel. Durch die Vorstellung echter Parteiprogramme entlang der Workshopthemen fördern wir eine kritische Reflexion unter den Teilnehmenden. Ein „Wahl-O-Mat light“ ermöglicht den Teilnehmenden zudem, ihre eigenen Positionen mit denen der Parteien abzugleichen. Je nach Gruppe wird auch die Diskussion über den Umgang mit den extrem rechten Akteur*innen vom Planspiel auf die gesellschaftliche Ebene gehoben. Welche Parallelen sehen sie zwischen dem Umgang im Planspiel und z.B. den Diskussionen über eine Ausgrenzung oder ein Verbot solcher Parteien und Gruppen? Wie würden sie selbst entscheiden? Abschließend werden Perspektiven für eigenes Engagement für die Werte einer offenen und demokratischen Gesellschaft gegeben. 

Ausblick

Uns ist bewusst: Alle geschilderten Ansätze sind nur erste Schritte, wir befinden uns in einem Prozess des Lernens und Ausprobierens. Und sie betreffen zunächst nur den Umgang mit unseren bestehenden Planspielen. Bei der Konzeption neuer Formate stellen sich andere Fragen und bieten sich neue Möglichkeiten. So werden wir in Zukunft stärker darauf achten, Planspielszenarien zu entwickeln, die andere Zugänge bieten. Anstatt Wahlkämpfe zu simulieren, die ein besonders polarisierender Teil der Politik sind, können gesellschaftliche Aushandlungsprozesse thematisiert werden, in denen es stärker um Sachfragen und demokratische Alternativen geht. Anstatt das Thema Europäische Migrationspolitik im Europäischen Rat anzusiedeln, in dem die Stimmen für Abschottung mittlerweile dominieren, können zivilgesellschaftliche Stimmen mehr Gehör bekommen. Vieles davon tun wir bereits, und haben wir teils auch schon lange im Angebot, doch sind wir mittlerweile noch stärker für diese Fragen sensibilisiert. 

Eine viel grundsätzlichere Auseinandersetzung betrifft die Methode Planspiel selbst. Wir sagen schon lange, dass Planspiele zwar eine großartige Methode sind, aber nicht immer und nicht zu jedem (Lern-)Zweck. Diesen Weg werden wir konsequent weitergehen und noch stärker modular arbeiten. So bieten wir Argumentationstrainings gegen rechtsextreme Parolen ebenso an wie kreative Formate zum Erarbeiten eigener Lösungsansätze und Ideen. Wir sind gespannt auf den weiteren Weg und freuen uns über Anregungen und Austausch dazu! 

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