- What you need: Nicht viel. Ob, und welche Art der Szenarienplanung sich für eine bestimmte Frage eignet, hängt hauptsächlich von der Fragestellung ab. Denn für die Nutzung der Methode gibt es an sich keine Grenzen, da sie sehr flexibel an die Umstände und die Zielgruppe angepasst werden kann. Bei planpolitik haben wir die Methode sowohl in mehrtägigen Seminaren mit Dutzenden Teilnehmer*innen als auch im kleineren Rahmen – etwa als Impuls für eine Reflektionsgruppe – eingesetzt, und das stets mit großem Erfolg.
- Fragestellung und Zeitrahmen: Sind beide zu weit gefasst („Was ist die Zukunft der westlichen Welt in 2050?“), sind die Szenarien zu beliebig, die Einflussfaktoren kaum zu bestimmen. Eine klar definierte Fragestellung ist besser: „Wie sieht das transatlantische Verhältnis in 10 Jahren aus?“; „Welche Marktposition hat mein Unternehmen in 5 Jahren?“, „Was ist die Zukunft der digitalen Bildung in Schulen in Deutschland in 15 Jahren?“). Auch der Zeitrahmen ist wichtig: Ist er zu eng, ergeben sich keine Spielräume für alternative Entwicklungen, ist er zu weit, leidet die Relevanz für das Hier und Jetzt. Für politische und gesellschaftliche Fragen können 10-20 Jahre in die Zukunft gut funktionieren, für Strategieentscheidungen in der Organisation können auch mal 2-5 Jahre sinnvoll sein.
- Einflussfaktoren: Das Festlegen der sog. driving forces ist für uns oft der spannendste Teil einer Szenario-Entwicklung. Insbesondere bei Gruppen mit diversen Perspektiven, Kompetenzen und Kenntnissen ergeben sich spannende Diskussionen darüber, welche Einflussfaktoren für die jeweilige Frage besonders wichtig sind. Zunächst gilt es möglichst viel und breit zu sammeln. Um den Blick zu weiten, verwenden wir oft das sog. STEEP-Modell: social, technological, environmental, economic, and political. Zu diesen Kategorien sammeln wir alle denkbaren Einflussfaktoren und priorisieren erst im Anschluss.
- Wichtigste Unsicherheiten: Die sog. critical uncertainties sind die Faktoren, die die Gruppe für besonders wirkmächtig und gleichzeitig besonders ungewiss hält. Warum? Einflussfaktoren mit geringer Wirkung sind nicht relevant; Faktoren, die gut vorhersehbar sind, sind wiederum weniger ergiebig für die Generierung alternativer Zukunftsbilder. Mit dieser Entscheidung wird üblicherweise intensiv gerungen und es wird viel diskutiert, schließlich geht es hier um die Grundlage für die anstehende Szenarienarbeit.
- Szenarien: Aus der Kombination der vier möglichen Ausprägungen der zwei ausgewählten Einflussfaktoren ergeben sich dann die vier Szenarien. Und dann, Durchatmen – und los geht‘s! Während zuvor das Analytische die Oberhand hatte, kommt nun mehr Kreativität ins Spiel. In Kleingruppen werden die Szenarien ausgearbeitet, in der Regel mit dem sog. Backtracking: Erst wird das Zukunftsbild entsprechend der Annahmen dieses Szenarios entworfen, um anschließend zu beschreiben, wie es dazu kommen konnte und an welchen Ereignissen zu erkennen ist, dass dieses Szenario eintrifft. Ein Feuerwerk an Ereignissen, Entwicklungen, (verpassten) Möglichkeiten, Gewinner*innen und Verlierer*innen wird skizzenhaft in eine logische Abfolge gebracht.
- Interpretation: Nach der gegenseitigen Präsentation der Szenarien gilt es nun, die Ergebnisse zu interpretieren. Was bedeuten die Szenarien für die Politik, für den Arbeitskontext der Teilnehmenden, für meine Organisation, etc. Schließlich gilt es, nicht nur auf ein mögliches Szenario vorbereitet sein, sondern auf alle Szenarien, die grundsätzlich vorstellbar und plausibel erscheinen. Dazu gehört sowohl, Empfehlungen zu erarbeiten, wie mit den dargestellten Unsicherheiten umzugehen ist und welche Weichenstellungen heute schon getroffen werden müssen.
- Verstetigung: Um die Szenarien danach auch für die weitere strategische Arbeit in der eigenen Organisation/im eigenen Unternehmen nutzbar zu machen ist es außerdem sinnvoll, die Indikatoren zu identifizieren, an denen in Zukunft zu erkennen sein wird, welches der Szenarien tatsächlich eintrifft. So können die Szenarien in die weitere strategische Arbeit eingebunden werden und ihr Potenzial als wichtige Ergänzung für das Monitoring und die Evaluierung aktueller Ereignisse voll entfalten.
Und was ist nun die Zukunft der EU? Das wissen wir immer noch nicht, aber zumindest wissen wir jetzt besser, auf welche Entwicklungen wir ein besonderes Augenmerk legen müssen und wovon die Zukunft abhängt. Neben Offensichtlichem wie Wahlergebnissen auf der anderen Seite des Atlantiks oder in bestimmten europäischen Mitgliedsstaaten, wurde in den Workshop viel über wirtschaftliche Faktoren gesprochen, über Innovationsfähigkeit, Forschungskooperationen, aber auch über Migrationsbewegungen, soziale Entwicklungen in den Mitgliedsstaaten und die Rolle der EU als Mediator*in in globalen Konflikten.
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