16.02.2023
Am 24. Februar 2023 jährt sich der Überfall auf die Ukraine durch Russland. Ein Angriffskrieg, den viele in dieser Form nicht vorhergesehen hatten, verbunden mit Tod und Leid, und mit der Flucht von Millionen von Menschen. Für uns in der Politischen Bildungsarbeit stellt sich die Frage, wie damit umzugehen ist. Welche Fragen stellen sich neu, welche Konzepte sind überfällig geworden?

Dabei wurde das Thema Krieg und Konflikt in der Politischen Bildung seit jeher aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet, verschiedenste Konflikte dieser Welt waren auch in unserer Arbeit Ausgangspunkt von Workshops, der Weg zur Befriedung Gegenstand vieler unserer Planspiele. 

Doch bereits wenige Wochen nach der Invasion kristallisierte sich heraus, dass keine der bisherigen Formate einfach auf die aktuelle Situation übertragen werden konnten. Vielmehr sahen wir die Bedarfe bei Bildungsträgern, Stiftungen und Schulen, den Krieg in der Ukraine zu thematisieren, dabei aber weder in Fatalismus zu verfallen noch den Krieg und seine Auswirkungen zu stark zu abstrahieren und nur theoretisch zu besprechen.

Die Ausgangslage

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, so formulierte es GEMINI wenige Monate nach der Invasion 2022, trifft auf eine Jugend, die durch zwei Jahre Pandemie bereits verunsichert ist und auf viele zur Lebensphase Jugend gehörenden Erfahrungen verzichten musste. Er trifft auch auf eine Jugend, die täglich mit der Klimakrise und vielen weiteren Konfliktherden in der Welt konfrontiert wird, und die insbesondere über die Sozialen Medien Zugriff auf unterschiedlichste Perspektiven und Erfahrungen dazu hat. Eine Jugend, die das Versprechen von Frieden und Demokratie, von sozialer Absicherung und sicheren Zukunftsperspektiven zunehmend hinterfragt. Denn folgen wir der Trendstudie Jugend in Deutschland 2022, haben die Angst vor den Folgen der Inflation sowie vor einem Krieg in Europa die Sorge um die Folgen der Klimakrise als größte Sorge unter Jugendlichen jüngst abgelöst. 

Unser Anspruch an die politische Bildung

Als Politische Bildner*innen haben wir hier also nicht nur die Aufgabe, den Krieg in der Ukraine zielgruppengerecht zu besprechen, sondern auch den Anspruch, ihn mit den Sorgen und Ängsten Jugendlicher verbindend zu thematisieren und selbstermächtigend zu wirken. 

Wie sollte also mit Jugendlichen über den aktuellen Krieg in der Ukraine gesprochen werden? Was kann und sollte Bildungsarbeit in diesem Bereich leisten? Und wie gehen wir dabei mit den Emotionen der jungen Menschen um?

Aufgabe der Politischen Bildungsarbeit ist, Räume zu eröffnen und die Sorgen und Unsicherheiten der jungen Menschen ernst zu nehmen. Sie sollte Formate schaffen, die alle jungen Menschen ansprechen, sie gegen Desinformationen stärken und ihnen helfen handlungsfähig zu werden, eigene Positionen zu entwickeln. Wichtig ist darüber hinaus auch, alle Menschen einzuschließen und Formate zu schaffen, die auch geflüchtete Jugendlichen aus der Ukraine sowie andere Menschen mit Flucht- oder Gewalterfahrungen wahr- und ernstnehmen.

Neben der thematischen Auseinandersetzung mit Gründen und Reaktionen auf den Krieg ist aus unserer Sicht also auch eine emotionale Aufarbeitung erforderlich, sowie eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich das Individuum in der aktuellen Situation verortet. Hinzu muss eine multiperspektivische Besprechung von Handlungsoptionen kommen, sowohl meiner eigenen als Bürger*in, wie auch derer von Akteuren wie Deutschland oder der EU.

Das EU-Ukraine-Format

Als Rahmen für das neu zu entwickelnde Format entschieden wir uns für die Rolle der Europäischen Union und ihre Reaktion auf den Krieg. Auch aufgrund der starken Bestrebungen hin zur EU seitens der ukrainischen Bevölkerung und Zivilgesellschaft erschien uns dies ein sinnvoller und für die Zielgruppe greifbarer Fokus zu sein. Das Streben nach Demokratie, Sicherheit und einer europäischen Gemeinschaft über aktuelle Grenzen der EU hinweg kommt in der aktuellen medialen Berichterstattung oft zu kurz, wird aber in der Lebensrealität junger Menschen nach unserem Eindruck aber immer zentraler. 

In unserem Workshop zu den EU-Ukraine-Beziehungen in Zeiten des Krieges haben wir daher nicht nur die Gründe und Reaktionen für den Krieg in den Mittelpunkt gestellt, sondern auch viel Raum zur Erfahrung und Thematisierung eigener Perspektiven auf die aktuelle Situation eröffnet. 

Methodisch wird u.a. in Kurzplanspielen zu den Themen EU-Erweiterung, Migration und Energiepolitik die aktuelle Situation und ihre Auswirkungen für unterschiedliche Personen und Länder thematisiert. So wird sichtbar, welche unterschiedlichen Themenfelder gleichzeitig relevant und vom Krieg beeinflusst sind. 

Ferner werden die Jugendlichen mit fiktiven Personae konfrontiert, deren Argumente sie auf Desinformation hin untersuchen. Eine lange Kreativphase in unterschiedlichen Anforderungsniveaus ermöglicht den Jugendlichen, nach ihren Bedürfnissen eigene Wünsche und Hoffnungen zu formulieren und den Blick auf Herausforderungen und Chancen der aktuellen Entwicklungen zu lenken. 

So ist für unseren Workshop die Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine der Rahmen, doch werden daran anschließend viele konkrete Aspekte thematisiert und die Bedeutsamkeit des Krieges auf unterschiedlichen Ebenen ergründet. 

Der weitere Weg

Ein Bewusstsein für den Krieg und seine Auswirkungen zu schaffen, dabei aber Unsicherheiten der Jugendlichen ernst zu nehmen und ihnen den Raum zugeben, selbst gestaltend tätig zu werden, ist insbesondere beim Thema Krieg eine Herausforderung. Es ist auch wichtig, deutlich zu machen, dass die Thematisierung eines aktuell stattfindenden Krieges Grenzen findet. Besonders die empfundene und faktische Ungleichbehandlung von geflüchteten Menschen aus anderen Regionen und die Nicht-Thematisierung anderer Kriege und Konflikte weltweit kann ein Reizthema sein, dem es sich zu stellen gilt. 

Ohnehin ist es begrenzt, was im Rahmen eines Tagesworkshops zu erreichen ist – auch wenn das mehr Zeit ist, als z.B. im schulischen Alltag oft zur Verfügung steht. Eine nachhaltige Behandlung dieser Themen sowie das Schaffen neuer, unterschiedlicher Räume und Formate in den aktuell oft als verunsichernd empfundenen Zeiten bleibt unabdingbar. 

Fest steht schon jetzt: Die Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine sowie der Rolle Politischer Bildungsarbeit hierbei und die grundsätzliche Thematisierung von Krieg und Konflikt in unserer Arbeit wird so auch im Jahr 2023 eines unserer Kernthemen sein.

 Foto: Moa Alexandersson/Unsplash 

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